Staub wirbelt auf und funkelt in den hineinfallenden Sonnenstrahlen, als ich die Haustür öffne. Ich gehe die Mahaghoni-Treppe hoch, die trotz ihrer halbrunden dunkelgrünen Teppiche leise knarzt. Ich halte mich am ebenso grünen Geländer fest. Ich erinnere mich noch an die Pflanze, die hier entlang rankte und Äffchen aus Holz und Leder, die darin hingen. Oben angekommen erblicke ich mein ausgefranstes Ich im alten Garderobenspiegel.
Rechts zeigen vier kleine Fenster auf die Straße hinaus, an einem der Fenster ist die kleine Gardine zur Seite geschoben. Ich öffne die Wohnungstür und trete langsam hinein. Rechts steht die Tür zum Schlafzimmer auf. Der alte schwere Holzschrank hält hier noch einsam die Stellung. Die alte Wanduhr ist stehen geblieben. Drei Minuten vor Zehn. Ihr lautes Ticken habe ich noch im Ohr. Ich schaue nach links. An der Wand steht die Kommode, in der immer die Schokolade versteckt gewesen ist. Darauf steht das alte Grüne Telefon. An der Wand hängen Familienfotos, welche in Farbe aus den 1990ern und 80ern, andere in schwarz-weiß von Anfang der 1930er Jahre und eines von dem alten Volvo Kombi.
Hinter dem Makrameevorhang, der sein strahlendes Weiß schon lange verloren hat, ist die kleine Küche mit der Dachschräge. Das pulsierende Herz des ganzen Hauses, für 22 wurde hier gekocht. Heute klappern keine Töpfe mehr und statt Bratenduft, liegt Muff in der Luft. Die lange Schrankwand zeiht mich weiter in den Raum.
Meine Schritte auf dem grünblauen Fliesenboden. Mein Blick schweift vorbei an den alten Klassikern und einer ganzen Reihe Rätselbüchern, die eine kleine graue Büffel-Statue stützt. In der großen Obstschale, die immer bunt gefüllt gewesen ist, liegt eine Wallnuss. Ich nehme sich hoch. Sieht noch ganz ok aus. Als ich sie wieder in die Schale gleiten lasse, hinterlässt sie eine Spur in der dicken Staubschicht.
Auf der anderen Seite des großen Wohnzimmers war die gemütliche Sofaecke. Der braun-gekachelte Wohnzimmertisch und der schwere Röhrenfernseher mit der dicken Lupe stehen noch auf dem dicken Teppich. Auf dem Tisch liegt das Programmheft noch aufgeschlagen, die Fernbedienung gleich daneben.
Ich gehe durch den Raum, ziehe einen Stuhl vom achteckigen Esstisch. Hier haben wir alle gesessen, gelacht, geredet und gegessen. Der große Tisch, voll mit Essen — Braten, Festtagstorte und auf dem Weg zum Spielen noch die Scheibe Käse auf die Hand. Dann sind die ersten gegangen, andere verblasst. Immer mehr Stühle blieben leer.
Ich streiche behutsam eine Falte aus dem beigen Leinentischtuch.
All die Bilder, wie ein Kinofilm in meinem Kopf. Kann es noch hören, das Lachen und Geschrei. Spüre noch die Umarmung, die nicht bewertet, einfach nur liebt. Das Gefühl von Zusammenhalt. Ich rieche noch den Hauch von Melisse in der Luft, der fasst verflogen ist. Höre noch das Mandolinenspiel zum Abschied am Fenster.
Vom Balkon fällt mein Blick in den Garten, der sich bis da ganz hinten an den Waldrand schmiegt. Da haben wir gespielt, sind über die alten Bunker gesprungen, haben uns hinter Bäumen versteckt. Im Garten gab es eine Schaukel, einen Sandkasten. Es war bunt, voll Blumen und Beeren und einem Pflaumenbaum.
Jetzt ist der Garten nur noch eine wilde Wiese, der jede Liebe fehlt.
Eisige Stille hüllt mich ein. Es ist Zeit. Ich gehe die Treppen hinunter, lasse die Tür hinter mir ins Schloss fallen. Ein letzten Mal drehe ich mich um, zu diesem leeren Haus das keine Seele mehr hat.