Szenen eines Tages

Pierrot

Genervt schiebe ich den Einkaufswagen durch den überfüllten Supermarkt, der sich wie ein Labyrinth aus bunten Regalen anfühlt. Lange Gänge mit Konserven, Champagner und Wein, Brot und Nudeln. Die Menschen sind bewegliche Hindernisse, um die der Wagen manövriert werden muss – Expert-Level.

Mein Sohn springt neben mir rum, singt und erzählt ununterbrochen, als wäre der völlig überflüssige Streit vorhin im Auto gar nicht passiert. Es sind immer wieder irgendwelche Kleinigkeiten, die ewig diskutiert werden müssen. Seine unaufhörlichen Fragen und Kommentare verschmelzen mit dem klappernden Geräusch des Wagens auf dem Fliesenboden. Fast hätte er mit einer seiner Tanzeinlagen den wackeligen Tassenturm in der Feel-Good-Abteilung umgerissen, was ich nur knapp verhindern konnte. Der Supermarkt ist überfüllt, die Gänge sind verstopft von Menschen, und dann ist da noch diese unkontrollierbare Energie von gerade einmal 130 cm Körpergröße. Die Geräusche und das Durcheinander machen mich fertig.

Die Schlange an der Kasse ist endlos und zieht sich weit in den Laden hinein. Ich atme tief ein und versuche nicht zu explodieren. Nicht hier. Nicht jetzt. Mein Sohn hat sich nicht aus der Ruhe bringen lassen und erklärt mir ernst, dass er im Urlaub jeden Tag eine ganze Tüte Müll am Strand aufsammeln wird, um etwas gegen den Klimawandel zu tun. „Es wäre toll, wenn alle das machen würden, oder Mama?“, fügt er hinzu. Ja, das wäre schön.

Vor uns in der Schlange steht eine zierliche alte Dame mit einem weit ausladenden Hut. Ihre Kleidung ist in den typischen Beigetönen einer ganzen Generation gehalten, ihr Gesicht zeigt Spuren eines langen Lebens, in dem sich die Jahre wie feine Risse auf ihrer Pergamenthaut abzeichnen. Immer wieder dreht sie sich zu uns um und lächelt schelmisch. Sie mag weit über 80 sein. Mit langsamer Sorgfalt legt sie ihren Einkauf auf das Band. Zuletzt hebt sie eine Flasche Champagner aus ihrem Wagen. Sie wirkt wie ein verliebter Teenager, als sie erklärt:

„Diese Flasche ist für meinen Pierrot. Wenn wir abends zusammensitzen. Billiger Perlwein bekommt ihm nicht. Er ist Franzose, mein Pierrot.“ Ihre Augen funkeln. Ihre Haut ist so dünn, man kann die blauen Adern schimmern sehen. Die alte Dame wirkt zerbrechlich und gleichzeitig so voll Leben.

Mein Sohn und ich sprechen weiter über den Müll im Meer und legen auch unsere Einkäufe auf das Band. Sie beobachtet uns. „Was für ein schlauer Kerl du bist“, sagt sie plötzlich, als sie von der Maschine hört, die mein Sohn erfinden möchte, um die Ozeane von all dem Müll zu befreien. Sie stellt die Flasche Champagner wieder lächelnd in ihren Wagen. „Mein Pierrot wird sich freuen.“

Die anderen in der Schlange haben die alte Dame längst als „nervig“ und „verrückt“ abgestempelt. Ein leises Stöhnen hier, ein genervtes Augenrollen da. Aber sie nimmt das gar nicht wahr und zählt langsam die vielen kleinen Münzen aus ihrem Portemonnaie in die Hand des schwitzenden Kassierers. Dann richtet sie sich noch einmal an meinen Sohn.

„Du bist ein sehr schlauer und faszinierender kleiner guter Mensch“, sagt sie mit dem warmen Tonfall einer Oma, die mehr zu wissen scheint. Mein Sohn lächelt verlegen und sie fügt hinzu: „Und du scheinst auch eine ganz tolle Mutter zu haben.“ Sie strahlt uns noch einmal an, winkt und eilt dann mit kleinen, alten Schritten davon zu ihrem Franzosen.

Im Fahrstuhl auf dem Weg zur Parkgarage habe ich Tränen in die Augen. Ich nehme mein Kind in den Arm und drücke ihn ganz fest. „Ich habe dich sehr, sehr lieb, mein Schatz“, flüstere ich und frage mich, ob dieser Pierrot wohl noch lebt.