Dealer

Der Dealer vom Görlitzer Park

„Cops! Cops!“, brüllt jemand. Ein junger Mann, springt von der Bank auf, auf der er den ganzen Morgen gesessen hat und rennt über die Eisenbahnbrücke auf die andere Seite des Kanals. Weitere Männer folgen zu Fuß oder auf dem Fahrrad. Eine Polizeistreife kommt den Weg entlang gefahren, die schmale Brücke ist für den Einsatzwagen viel zu eng und eine Verfolgung zu Fuß wäre erfolglos, sie kehren um. 

Der junge Mann in dicker blauer Winterjacke, schwarzen Jeans und nagelneuen, strahlendweißen Markenturnschuhen heißt Maxwell. Er ist vor drei Jahren aus Ghana nach Deutschland gekommen, seitdem arbeitet er als Drogendealer, sein Arbeitsplatz ist der Görlitzer Park. Es ist 14 Uhr am Nachmittag, vor vier Stunden war so etwas wie Schichtbeginn, doch verkauft hat er heute noch nichts. Eigentlich ist der Park ein Hotspot des Drogenhandels, Partyhungrige decken sich mich Kokain oder Speed ein, um die aufregenden Großstadtnächte zu durchtanzen, andere suchen Entspannung und kaufen Marihuana. „Das Geschäft ist kaputt“, sagt Maxwell. „Die Touristen fehlen und die Polizei kontrolliert mehr.“ Die Corona-Krise trifft auch den Drogenmarkt und die Dealer kämpfen noch mehr um ihre Existenz hier und die ihrer Familien in Afrika.

Wie im Freiluft-Supermarkt
Ein Arbeiter mittleren Alters in Blaumann und Lederjacke kommt auf ihn zu, der erste Kunde. Er will Marihuana kaufen, um abends ein wenig zu relaxen. Sie gehen ein Stück zusammen und es sieht aus, als seien sie alte Bekannte. Dann wechseln Ware und Geld blitzschnell zwischen den Männern und jeder verlässt die Szene in eine andere Richtung. Es gleicht einem Freiluft-Supermarkt. Ein weiterer Dealer kommt auf dem Fahrrad vorbei und gibt Entwarnung, die Polizei ist weg, die Luft ist rein. Maxwell bezieht wieder seinen Posten an der der Bank im Park, direkt vor der Brücke. „Ich mag den Winter hier nicht“, bemerkt er und vergräbt die Hände tief in den Jackentaschen. Es ist Mitte November, ein eiskalter Wind fegt durch die Stadt und die Temperaturen schaffen es gerade mal auf fünf Grad.

Schmutzige Arbeit mit System
Die Dealer arbeiten in Teams: zwei Späher, die die Polizei im Blick haben, zwei Weitere, die Geld gegen Ware tauschen und einer, der die Drogen aus einem Erdversteck, dem sogenannten Bunker holt. Um strafrechtlich nicht belangt zu werden, haben sie nie viel Stoff bei sich. Ein Gramm Marihuana kosten fünf bis zehn Euro. Vor der Krise hat Maxwell so locker 200 EUR am Tag verdient, im Moment reicht es kaum für Essen. Seine Unterkunft ist eine kleine Einraumwohnung, die er sich mit vier anderen Männern aus Sierra Leone, Nigeria, Mali und dem Senegal teilt. 
Sein Englisch ist sehr gut, er wirkt gebildet. „Mein Vater hat hart gearbeitet, damit er uns zur Schule schicken konnte“, erzählt Maxwell. Er holt eine feuerrote Kappe aus seiner Jacke und setzt sie auf, den Schirm tief ins Gesicht gezogen, um seine Trauer zu verbergen. „Pop ist vor ein paar Jahren gestorben. Ich habe Geschwister, eine Mutter, eine Frau und eine kleine Tochter in Ghana. Ich vermisse sie.“ Er dreht sich weg und tritt gegen den Mülleimer, der neben der Bank auf seine Leerung wartet. Man spürt die Verzweiflung. „Die Zeiten sind andere. Ein Studium ist teuer und einfache Jobs bringen wenig Geld. Wir haben nichts Gespartes und zu Hause ist es schwer, eine Familie zu ernähren.“

Das Versprechen vom schnellen Geld lockt die jungen Männer
Wie viele junge Männer ist Maxwell über einen Schleuser, den „Connection Man“, mit falschen Papieren nach Deutschland gekommen. Er hat einen Asylantrag gestellt, doch dafür muss erst seine Identität geklärt werden. So lange das Verfahren läuft, wird er vom Staat geduldet, arbeiten darf er nicht. Wahrscheinlich wird es am Ende eh eingestellt werden, dann wird der er zurück in seine Heimat geschickt. Doch Maxwell muss Geld verdienen. 300 Euro schickt er monatlich an seine Familie. Über andere Dealer kam er in Berlin zum Drogenverkauf. Junge Männer wie er sind für die Drahtzieher im Drogenmilieu als günstige Arbeitskraft Gold wert. Illegal eingewandert, erhalten sie keine Arbeitserlaubnis, müssen aber zuhause ihre Familien ernähren. Oft sind sie mit der Aussicht auf großes Geld und einem Paar teuren Markenschuhen beeinflussbar.

Die eigene Familie würde ihn, den Dealer verachten
Eine Frau fragt plötzlich leise im Vorbeigehen: „Hast du Koks?“ Maxwell gibt seinem Kollegen Osaivbe ein Zeichen und schließt zu ihr auf. Sie unterhalten sich auf dem Weg zu einem kleinen versteckten Teich, wieder sieht es aus, als kennen sich diese beiden Menschen. Dann wechselt das Geld mit einem Handschlag den Besitzer. Er kommt zurück. Osaivbe hat in der Zwischenzeit Kokain aus einem Versteck geholt und wird es der Kundin zustecken. Es ist mittlerweile früher Abend und die Leute sind auf dem Heimweg. Auch Maxwell und Osaivbe haben bald Schichtwechsel. Eine ältere, schick gekleidete Afrikanerin kommt den Weg entlang, als sie die Dealer sieht, stürmt sie wutentbrannt, ihre Handtasche schwingend auf Maxwell zu. Ob er sich nicht schämen würde, er sei eine Schande für seine Mutter, schreit sie. Er versucht sie zu beschwichtigen, doch sie spuckt ihm angewidert vor die Füße. Dann geht sie ihres Weges und ruft immer wieder: „Du Scheißkerl, schäm dich!“ Maxwell zieht die Schultern unter die Ohren.
Wenn seine Familie wüsste, wie er sein Geld verdient, würden sie ihn verstoßen. Drogenkonsum oder -Verkauf ist zu Recht äußerst unehrenhaft in Ghana und erfährt tiefste Verachtung. „Ich würde gerne etwas Richtiges finden, aber die lassen mich nicht.“ Die, damit meint er die Ausländerbehörde. Allein 2019 wurden im ersten Halbjahr über 27.000 Asylanträge abgelehnt oder auf Eis gelegt, wenn die Personen schon in einem anderen Land Asyl beantragt hatten. Ghana gilt außerdem als sicheres Herkunftsland, in diesem Fall muss ein ausreichender Beweis einer drohenden Verfolgung im Heimatland vorliegen, damit ein Antrag gewährt wird. Seit der Asylreform 2015 können zwar auch geduldete Asylbewerber eine Erlaubnis zum Arbeiten erhalten, jedoch nicht, wenn sie aus einem, als ungefährlich geltenden Herkunftsstaat kommen.

Fehlende Alternativen
Vor einem Jahr hat Maxwell an einem Projekt im Kiez teilgenommen. Da konnten Jungs wie er eine Ausbildung zum Tischler machen. Sie haben Möbel gebaut und verkauft. Es lief toll und die geregelten Arbeitszeiten haben gut getan, doch dann haben die Behörde das Ganze wegen der fehlenden Arbeitserlaubnis gestoppt. Er fing wieder mit dem Dealen an. „Meine Chancen legal hierzubleiben sind schlecht. Außer ich schwängere oder heirate eine Deutsche.“ Aber das ist nicht seine Art, sagt er.
So wirklich mag man ihm nicht glauben, dass er sich der oft tödlichen Auswirkung seiner Arbeit bewusst ist. Eigentlich stört ihn nur die Angst erwischt zu werden, Einsicht sucht man vergeblich. Denn wenn er ehrlich ist, möchte, Maxwell so lange wie möglich in Europa bleiben, damit seine Familie in Afrika ein gutes Leben hat und seine Tochter zur Schule gehen kann. Vielleicht findet er einen Weg abseits der Dealerei. Doch wenn erst die Touristen zurück sind und das Nachtleben losgeht, ein teures neues Bike oder Outfit lockt, wird er sich doch wieder mit den anderen Jungs in den Park stellen und weiter Drogen verkaufen. Das Geld ist so leicht verdient, wenn nur ab und an die Polizei mal stört.

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Jana Böhm

Freie Journalistin und Autorin

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