Freiburg hatte ich an einem Tag durch. Das Schwabentor hatte mir gefallen und die kopfsteingepflasterten Gassen. Ich schaute gerne zu, wie die Kinder kleine Holzboote – die Bächle Boote, die schmalen Wasserläufe der Altstadt entlang fahren ließen.
Mein Hotelzimmer war gemütlich eingerichtet. Ein wenig urig mit schönen alten Holzmöbeln, ein kleiner Schreibtisch direkt am Fenster und mit Blick in den entfernt liegenden Schwarzwald. Ich wäre gut beraten, zu schreiben, die Deadline rückte näher. Nur wollte mir einfach nichts brauchbares einfallen. Bis auf ein paar Krickelein blieb das Blatt leer. Um meinen Kopf zu lüften fuhr ich ein bißchen herum, raus aus der Innenstadt. In Denzlingen hielt ich an einem Restaurant, der Biergarten sah nett aus.
Das Restaurant war ein schönes altes Fabrikgebäude, weiß getüncht und mit großen Fenstern. Im inneren hatte man den vergangenen Industriecharme gelassen. Ab und an schienen hier auch Bands zu spielen. Der Laden gefiel mir.
Ich setze mich draußen an einen 4-er Tisch, der allein unter einer schönen alten Kastanie stand. Mit der Spitze meines rechten Schuhs kratzte ich gelangweilt und ideenlos eine Linie in den staubigen Kiesboden. Vor mir stand ein Glas Weinschorle und außer diese zu trinken, hatte ich heute keine weiteren Ziele. Mein Notizbuch döste träge in meinem Rucksack. An den anderen Tischchen saßen Grüppchen, die sich angeregt unterhielten und die mittelalte Bedienung in badischer Tracht tänzelte zwischen den Tischen umher und brachte stetig neue Getränke.
„Ist hier noch frei?“, fragte eine tiefe Männerstimme schräg hinter mir. Der Typ stellte sich als Nuckel vor und kniff die Augen zusammen, um mich gegen die Sonne zu sehen. Die Falten zwischen Nase und Mund erzählten von einem bewegten Leben. Er hatte was von einem Cowboy. Ich ließ ihn Platze nehmen.
Er saß kaum, da hob er zu einem wehmütigen Monolog über seine Dobermann-Hündin an: „In meinen Händen wird jedes Tier zur Waffe, haben die gesagt. Die Wichser haben mir verboten Hunde zu halten.“ Mit ‚die‘ und ‚Wichser‘ meinte er wohl ein paar Polizeibeamte. Er redete schnell. Mit dem Zeigefinger wischte er unter seiner Nase entlang als hätte er Sorge, man könnte noch Spuren einer kurz vorher konsumierten Substanz sehen und fummelte aus einem seiner abgewetzten Cowboystiefel eine Packung Streichhölzer.
Noch einmal wischte er unter der Nase lang und nippte an der Limo, die er sich zwischenzeitlich bei der Bedienung bestellt hatte. Die Zigarette zauberte er aus dem anderen Stiefel und zündete sie an. Was für ein Freak und was für ein bescheuerter Name. Mein Blick fiel auf seine Unterarme und die Narben, die das hochgekrempelte, blau-weiße Flanellhemd freigab. Nuckel bemerkte es und fragte mich, ob ich mir vorstellen könne, wie es sich anfühlt, wenn eine Pistolenkugel in den Körper eindringt.
Ich trank einen Schluck meiner Schorle und drehte das Glas angespannt auf dem Tisch hin und her. Wollte ich mir so etwas überhaupt vorstellen? Nein, eher nicht. Er saß am anderen Tischende und redete nicht unbedingt leise und immer noch schnell. Dennoch schien keiner der Gäste an den Nachbartischen seinem Monolog zu folgen. „Äh, nein. Ich kann mir das nicht vorstellen,“ erwiderte ich. Er winkte ab. Im ersten Moment täte es gar nicht weh, aber es würde unangenehm nach verbrannter Haut riechen. Er erzählte davon, als wäre es das Normalste von der Welt, angeschossen zu werden.
Mit dem Zeige- und Mittelfinger deutete er auf die zwei großen Narben. Wischte sich unter der Nase lang und zeigte mir eine weitere an der rechten Schulter. All die anderen Schrammen kämen von Messerstechereien, prahlte er. „Ein bewegtes Leben,“ fiel es eher verwirrt als beeindruckt aus mir heraus. Unbeeindruckt meines unqualifizierten Kommentars sprach Nuckel weiter. Vielleicht hatte es ihn auch angeregt, mehr seiner Biographie preiszugeben. Ich bestellte mir bei der Kellnerin noch eine Weinschorle. Sie schaute ein paar mal zwischen und ungleichen Vögeln hin und her und dachte sich sicherlich ihren Teil.
Nuckel nippte noch einmal an seiner Limo und erzählte weiter. Bevor er sich im Scheinwerferlicht der Ordnungshüter etwas bedeckter halten musste, war er beruflich in Köln unterwegs. Als Zuhälter hatte er dort gejobbt und ganz gut Geld verdient. Den Spitznamen hatte er, weil… Nein. Ich wollte es nicht wissen. Ich hatte Lust wieder in mein Hotelzimmer zu fahren, aber irgendwie faszinierte mich diese zwielichtige Gestalt in Karohemd und Cowboystiefeln. Ich fragte mich, warum er mir das alles erzählte und merkte, wie er mich plötzlich mit einem eiskalten Blick anschaute.
Mit tiefer Stimme, die fast drohend klang, sagte er: „Ich muss los.“ Dann stand er auf, schnippte seinen Zigarettenstummel auf den Boden, um ihn mit der rechten Stiefelspitze in den Kiesboden zu mahlen. Mit der linken Hand wischte er sich unter der Nase lang, dann trat er ab. Ich stellte mir vor, wie er sich auf seinen Gaul schwang und in den Sonnenuntergang ritt, bereit für die nächste Schiesserei. In Wirklichkeit knatterte er mit einem schäbigen, metallicgrünen Golf vom Parkplatz. Ich bezahlte meine Rechnung und machte mich auf den Weg in mein Hotel, ich musste unbedingt etwas aufschreiben.