Prosa

Weihnachtsbaumkauf

Baum
Weihnachtsbaum, Foto: Jana Böhm

Es ist ein herrlicher Wintermorgen, als der Baum seine Äste der Sonne entgegenstreckt. Ein kleiner Zaunkönig lässt sich zwischen seinen saftig grünen Nadeln nieder und singt seinen Morgengruß.

„Das war aber ein schönes Lied“, sagt er zu dem kleinen Vögelchen.
„Danke“, antwortet es. „Ich bin Fridolin und wer bist du?“
„Ich heiße Theobald. Du darfst dich gern an meinen Zapfen stärken.“
Die beiden plaudern noch ein wenig, bis der kleine Zaunkönig in den Tag aufbricht.

Theobald liebt den Winter, es ist nicht so warm und so viel ruhiger.
Wäre da nur nicht immer wieder dieses „Tschaaackkk!“, „Tschaaackkk!, gefolgt von einem langsamen Knarzen und einem lauten „Tschhhhht!“. Die anderen um ihn herum erzählen davon. Es sind die Menschen, die wie jedes Jahr zwischen den Bäumen umher marschieren, vor einem stehen bleiben, ihn abhacken und mitnehmen. Bei Theobald sind sie bisher immer vorbeigegangen.

Er beschließt, noch ein Weilchen dem Vogelgezwitscher in der Ferne zu lauschen. Er gähnt und bald schon fallen ihm die Augen zu.

Eine piepsige und laute Stimme weckt ihn auf.
„Papa! Ich will den! Ich will den Baum da!“, schreit ein kleines Mädchen und zeigt auf ihn. Auf Theobald. Ihm gefriert fasst der Baumsaft im Stamm.
Zwei erwachsene Menschen tauschen bunte Papierchen und kleine runde Dinger. Dann greift einer von beiden nach einem komischen Ding.

„Tschaaackkk!“, macht es. Aua! Das hart weh getan. Theobald schaut zu den anderen Tannen. Mitfühlend lassen sie die Äste hängen. Wieder ein lautes „Tschaaackkk!“. Theobald merkt, wie ihm schwindelig wird.

17 Jahre hat er hier gestanden. Jeden Morgen den Morgengrüßen der Vögel gelauscht. Im Sommer den Lerchen und der Nachtigall. Im Winter den Zaunkönigen, den Amseln und den Meisen. Theobald hat Schmerzen, wieder ein „Tschaaackkk!“. Er kann sich nicht mehr halten, spürt, wie er kippt.

„Tschhhhht!“ Er prallt heftig auf den Boden. Spürt, wie ein Ast an seiner linken Seite bricht. Plötzlich wird er gezogen, angehoben und durch ein Ding gezogen. Hilfe, jetzt steckt er in einem Netz und kann sich nicht mehr bewegen. Ihm schwinden die Sinne.

Als er wieder zu sich kommt, steht Theobald in einem Kasten, es ist warm und es gibt ein durchsichtiges Quadrat, aus dem er die Wolken sehen kann. Unten am Stamm drückt ihn etwas. Der kleine Mensch von vorhin steht vor ihm. Holt rot blitzende Kugeln aus einer Kiste und hängt sie ihm an die Astspitzen. Eine nach der anderen. Ein großer Mensch hängt ihm Lichter dazwischen.

Das ist es nun, wovon die anderen Bäume gesprochen haben. Die Wäre hier macht ihn wieder ganz benommen. Er hat so wahnsinnigen Durst. Die ersten Nadeln fallen herunter. Hoffentlich ist es bald vorbei, denkt er noch, bevor er das Bewusstsein verliert.


Dies ist ein Beitrag für den #shortstorydienstag von meinen geschätzten Kolleginnen Ira Laudin und Manuela D. Zwist zum Thema „Wartehalle“.